Kapitel 6: Unliebsame Begegnungen
Rennen. So schnell wie möglich. So weit wie möglich. Nicht stehen bleiben. Weiter. Es kommt. Sie hörte die mächtigen Pfoten auf den Waldboden trommeln, in einem nie enden wollenden Rhythmus der ihr baldiges Ende verkündete. Die kalte Luft der Nacht stach ihr wie tausend Messer in die Lungen. Sie konnte kaum noch atmen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt von der Anstrengung. Jeder Muskel ihres Körpers brannte vor Erschöpfung und wollte sie zum Stehenbleiben verleiten. Doch sie wusste, wenn sie inne halten würde, wäre es ihr sicherer Tod. Die Blätter der Äste kratzten ihr ins Gesicht, die Äste bohrten sich in ihren Körper, als ob der Wald selbst sie aufhalten wollte. Sie rannte und rannte ohne sich umzudrehen. Sie wagte es nicht. Sie wollte nicht sehen, dass ihr Mühen eigentlich vergebens war, denn der Werwolf war ihr dicht auf den Fersen. Unerbittlich jagte er ihr durch das Dickicht hinterher. Folgte ihrer Spur. Sie hörte das Hecheln, meinte den Herzschlag förmlich zu spüren. Ihr eigenes Herz pochte wie verrückt um den Körper weiterhin mit Sauerstoff zu versorgen. Der Mond stand hoch am Himmel und blickte auf sie hinab als stiller Beobachter, ungerührt von dem bald erlöschenden Leben unter ihm.
Liz rannte und rannte. Sie konnte ihren Verfolger nicht abschütteln. Immer näher schien er ihr zu kommen, sein Hecheln, sein Stampfen, sein Herzschlag. Sie gelangte auf eine große Lichtung, hell beschienen vom Mondschein. Als sie sie halb überquert hatte, stolperte sie. Mit einem Aufschrei landete sie auf dem kalten, harten Boden. Sie versuchte verzweifelt sich wieder aufzurappeln, doch ihr Knöchel hab unter ihrem Gewicht nach. Sie tastete danach und spürte, wie er wärmer und dicker wurde. Wahrscheinlich war er verstaucht. Sie spürte wie die Schritte des Wolfes stoppten. Als sie sich zu ihrem Verfolger umdrehte sah sie in die goldgelben Augen, welche im Mondlicht beinahe wie die Sterne am Firmament funkelten. Sie schluckte. Sie wusste was gleich geschehen würde. Der Wolf schnupperte. Sog ihren Angstschweiß ein und knurrte. Liz grub mit ihren Händen vor Panik in den Boden, während sie auf das Unausweichliche wartete. Sie hatte Angst.
Doch das war nicht hauptsächlich wegen dem Werwolf oder der Tatsache, dass sie bald sterben würde und ihr zerfleischter Körper womöglich nie gefunden werden würde. Nein. Sie hatte viel größere Angst davor, dass sie nicht wusste, ob dieses Wesen eine Gespinst ihrer Einbildungen oder Realität war. Nicht einschätzen zu können, ob das was sie fühlte, sah, roch, hörte und schmeckte lies ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen, denn das war das Einzige, auf das sie sich immer hatte verlassen können. Ihre Sinne. Ihr Verstand. Nun wurde das Alles in Frage gestellt durch ein einziges Wesen.
Der Werwolf knurrte und setzte zum Sprung an. Liz schloss die Augen. Gleich würde sie wissen was Wirklichkeit war. Gleich würde sie entweder Schmerz oder die Erleichterung von Nichts spüren. Gleich würde sie Klarheit bekommen.
Es dauerte nur wenige Millisekunden. Kaum ein Augenschlag. Der Wolf stieß sich mit seinen mächtigen Hinterbeinen vom Boden ab und Sprang. Er riss weit das Maul auf und entblößte dabei sein gewaltiges Gebiss aus gefühlten tausend Reißzähnen, welche Alle den sicheren Tod brachten. Liz konnte nicht anders. Sie öffnete die Augen, denn sie wollte dem Tod ins Auge blicken. Ihr Ende miterleben.
Dann wurde Alles schwarz. Sie fühlte nichts mehr. Hörte nichts mehr. Sah nichts mehr. Roch nichts mehr. Schmeckte nichts mehr. Sie befand sich im Nichts. Der unendlichen Unendlichkeit. Kein Schmerz. Kein Licht, dass den Weg in den Himmel wies. Einfach nichts. Sie war Nichts. Körperlos. Gefühllos. Ohne Existenz. Es war wie eine Ewigkeit. Es gab keine Zeit. Sie wusste nicht, wie lange sie schon so war. Vielleicht schon immer. Vielleicht erst seit wenigen Minuten.
Ihre Gedanken waren seltsam dumpf und langsam. Sie bekam nichts Sinnvolles zusammen. Eine wirre Ansammlung an Worten und Lauten. Ihr Herz schlug nicht. Vielleicht hatte sie keins. Dort wo es gewesen wäre, war eine tiefe Leere. Inmitten des schwarzen Nichts kroch in großer Entfernung ein helles Etwas empor. Der Mond. So voll, schön und rund wie es nur in Träumen möglich ist. Makellos. Machtvoll. Er sog sie magisch an. Immer näher schien sie dem weißen Rund zu kommen, ohne dass sie einen Körper besessen hätte. Bald nahm er ihr ganzes Wahrnehmungsfeld ein.
Alles war hell. Grell und unangenehm stechend.
Sie schloss ihre Augen oder zumindest das, was sich anfühlte wie ihre Augen, um sich vor dem Licht zu schützen. Als sie ihre Augen vollkommen geschlossen hatte schien das Licht selbst durch ihre Lieder hindurch, brannte durch ihre Pupille einen Pfad der Verwüstung direkt in ihre Gedanken hinein. Sie kniff sie angestrengt zusammen, um so wenig Licht wie möglich hinein zu lassen. Unter völliger Anspannung wartete sie. Wartete, dass etwas passierte. Plötzlich hörte sie ein Klingeln. Zumindest glaubte sie eins zu hören, denn sie hatte ja eigentlich keine Ohren oder gar ein Trommelfell, welches die Schwingungen der Geräusche an ihr Hirn weiterleitete und sie somit „hören“ lies. Das Klingeln weckte vergessene Erinnerungen. Es schien näher zu kommen. Schon bald war es in ihrem Kopf. Es übertönte das Licht, lies sie alles andere vergessen, rüttelte ihr ganzes Wesen auf.
Liz schreckte hoch und schlug voller Panik auf den Wecker, welcher augenblicklich verstummte. Ihr Herz raste, ihr Atem war kurz und angestrengt. Ihr ganzer Körper war mit kaltem Schweiß überdeckt. Ihr Arm brannte. Verwirrt schaute sie sich um. Sie war in ihrem Zimmer. Es war kurz nach halb 7. Und sie musste zur Schule.
Mit zittrigen Beinen stand sie auf und stolperte ins Bad um sich fertig zu machen. Sie fühlte sich krank. Als ob sie tagelang nicht geschlafen hätte. Ihre Haut war eiskalt.
Der Traum war so real gewesen. Sie hatte den Waldboden wirklich gefühlt. Den Werwolf gerochen. Sein Hecheln gehört, die todbringenden Fangzähne gesehen. Doch es war Alles nur ein Traum gewesen. Sie schien langsam wirklich verrückt zu werden. Als sie sich fertig gemacht und etwas gegessen hatte, begutachtete sie ihren Arm. Die Wunden hatten sich über Nacht mit einer dicken Schicht Schorf verkrustet und die Ränder waren nun nicht mehr schwarz, sondern sahen aus, wie bei jeder anderen Wunde auch. Rosiges Fleisch schimmerte an den Stellen, wo der Schorf durch Liz panische Aufstehaktion aufgeplatzt war. Sie holte neues Verbandszeug aus dem Erste-Hilfe-Schrank, cremte die Wunden dick mit einer Wundheilsalbe ein und umwickelte sie schließlich fest mit einem weißen Verband. Wenn sie einen langen Pulli trug, würde man ihn kaum bemerken.
Sie schaute auf die Uhr und packte dann in neuer Panik ihre Tasche und rannte aus dem Haus. Sie sollte an ihrem zweiten Schultag nicht schon zu spät kommen.
In der Schule angekommen bemerkte glücklicherweise niemand den Verband und so musste sie keine lästigen Fragen beantworten. Caroline redete ununterbrochen von der gestrigen Party und dass sie einige gute Partien für Liz gefunden hätte. Bonnie versuchte vergeblich Caroline davon zu überzeugen, dass Liz vielleicht gar keinen Freund wollte, denn für Caroline war das das offensichtlich Größte und Wichtigste überhaupt im Leben einer Highschoolschülerin und Elena hielt sich größtenteils raus und redete mit Liz über den Unterricht, ob sie sich schon ein wenig eingelebt hatte und so weiter. Liz war froh darüber, dass wenigsten Elena und Bonnie halbwegs normal und ruhig waren. Caroline war hyperaktiv. Sie konnte unendlich reden, vor allem tausende Fragen stellen und Bemerkungen machen. Als es zur Pause klingelte, holten sie sich alle ihr Essen in der Cafeteria und setzten sich anschließend nach draußen in die Sonne. Liz zog eine kleine, schattigere Stelle vor. Sie hatte immer noch Kopfschmerzen von dem nächtlichen Traum. Sie aßen, sogar größtenteils schweigend, da Caroline damit beschäftigt war mit ihrem Freund Matt zu simsen. Er war aus familiären Gründen nicht in der Schule. Elena hatte ihr erzählt, dass seine Schwester Vicki ebenfalls ein Opfer der Tierangriffe geworden war und er und seine Mutter die Beerdigung organisierten.
Es klingelte zum Pausenende und Alle machten sich auf um wieder in den Unterricht zu gehen. Liz kramte in ihrer Tasche auf der Suche nach ihrem Portemonnaie. Sie wollte sich noch schnell eine Cola ziehen, denn ihr Hals fühlte sich an, als ob sie seit Tagen nichts getrunken hatte. Schließlich zog sie es aus den Tiefen ihrer Tasche und holte einige Münzen heraus. „Wow. Ist das deine?“, hörte Liz Caroline fragen. Sie drehte sich um. Caroline hielt die Kette in der Hand, welche sie im Wald gefunden hatte. Der Stein schimmerte blutrot unter dem Sonnenlicht. Liz streckte ihre Hand aus. „Oh. Danke“ Caroline gab sie ihr und fragte: „Warum trägst du sie nicht?“ Liz war gerade im Begriff die Kette wieder in ihre Tasche zu stecken und hob den Kopf. „Sie gehört eigentlich nicht mir. Ich habe sie gefunden.“ „Na und?“ Liz stutzte. Elena und Bonnie drehten sich um und kamen zu ihnen zurück, denn sie waren während ihrer Unterhaltung schon in Richtung Schulgebäude davongegangen. Nun betrachteten auch sie die Kette in Liz Hand voller Erstaunen. Liz hielt sie den dreien hin. „Habt ihr zufällig eine Ahnung wem sie gehört?“ „Wo hast du die gefunden?“, fragte Bonnie erstaunt. „Sie lag einfach auf dem Boden und ich dachte, dass sie vielleicht jemand vermissen könnte.“ „Nein. Tut mir leid. Ich habe diese Kette noch nie gesehen“, antwortete Bonnie. Auch Elena schüttelte entschuldigend den Kopf. „Gut. Wenn keiner weiß wem sie gehört, dann hat es auch keinen Sinn weiter nach dem Besitzer zu suchen. Das ist wie eine Nadel im Heuhaufen.“ Sie nahm Liz die Kette ohne ein weiteres Wort aus der Hand und stellte sich hinter sie.
Liz spürte das kalte Metall der Kette auf ihrer Haut und tastete nach dem Medaillon, welches nun um ihren Hals hing. „Aber..!“ Caroline stellte sich wieder vor sie und betrachtete die Kette zufrieden. „Wer’s gefunden hat, darf’s behalten.“ Ohne ein weiteres Wort ging sie zum Unterricht und Bonnie, Elena und schließlich Liz folgten ihr sichtlich irritiert. Liz nahm die Kette nicht ab. Sie mochte sie. Sogar sehr.
Der Unterricht zog sich gähnend lang hin. Stefan, der in letzter Sekunde aufgetaucht war, hatte offensichtlich eine Schwäche für Geschichte. Bei jeder Frage ging seine Hand erneut in die Höhe und immer gab er die korrekte Antwort. Nach Geschichte kam Mathematik dran. Wenigstens ein Fach, das sie gut beherrschte. Naturwissenschaften lagen ihr im Blut. Biologie, Chemie, Physik, all jene Fächer, in denen ihr logisches Denkvermögen gefragt wurde. Demnach ging es auch wesentlich schneller vorbei als die vorrangegangene Geschichtsstunde. Der Schultag war endlich vorbei und Liz machte sich auf den Heimweg. Da spürte sie, wie neben ihr ein Auto hielt. Elena winkte aus Stefans Wagen und die beiden bedeuteten ihr einzusteigen, um sie nach Hause zu bringen. Liz stieg ein und Stefan brauste los. Schon nach wenigen Minuten hielten sie vor ihrem Haus und Stefan stieg aus um Liz die Tür zu öffnen. Liz empfand das als völlig unnötig, doch es schien im Spaß zu machen. Sie wartete, bis er die Tür geöffnet hatte, dann stieg sie aus. Plötzlich bemerkte sie, wie etwas an ihr zog. Ihr Taschengurt hatte sich irgendwo verhakt und zog sie zurück. Sie schwankte gefährlich nach hinten und ruderte mit den Armen nach vorne, um nicht zu fallen. Stefan griff nach ihrem Arm um ihr zu helfen. Sein fester Griff schloss sich um ihren verbundenen Unterarm und Liz entwich ein kurzer Schmerzensschrei, während sie spürte, wie die Wunden wieder aufplatzten. „Was ist passiert?“ fragte Stefan besorgt. Elena stieg rasch aus dem Auto aus und beäugte Liz besorgt. Liz keuchte und riss sich zusammen. Sie zog ihren Arm weg. „Nichts. Alles ok“, sagte sie, doch in diesem Moment konnte sie einfach nicht gut genug lügen. Jeder Trottel hätte bemerkt, dass Etwas nicht stimmte. Reflexartig zog sie ihren Arm hinter ihren Rücken. Stefans Augenbrauen bildeten nun eine durchgezogene Linie, so sehr hatte er sie zusammengezogen durch seinen besorgten Blick. Elena trat näher heran. „Was ist mit deinem Arm?“ „Gar nichts. Er hatte nur ein wenig zu stark zugegriffen. Das ist Alles“, sagte Liz mit dem Anflug eines abschätzigen Lächelns. Die beiden schienen ihr nicht zu glauben. Stefan kam einen Schritt auf sie zu und griff nach ihrem Oberarm. Mit unglaublicher Kraft drehte er ihren Arm nach vorne und schob den Ärmel ihres Pullovers vorsichtig nach oben. Liz biss die Zähne zusammen. Stefan und Elena stutzten, als sie den weißen Verband sahen, welcher nun mit Blut und Eiter befleckt war. Ohne zu fragen wickelte er den Verband mit einer steinernen Miene ab. Lage um Lage fiel der Verband und offenbarte schließlich die tiefen Bisswunden auf ihrem Unterarm. Stefan schreckte zurück und rümpfte die Nase. „Oh mein Gott! Elizabeth! Dein Arm!“ schrie Elena auf.
Stefan hatte sich wieder gefasst und betrachtete die Wunden genauer. „Wie ist das passiert?“ fragte er. Liz zögerte und überlegte, welche Geschichte am plausibelsten und glaubwürdigsten sein würde. „Ein Hund hat mich gestern gebissen. Als ich im Wald spazieren war.“ „Ein Hund?“ erwiderte Stefan ungläubig. „Ja. Er sprang plötzlich aus dem Gebüsch und riss mir nachdem er mich gebissen hatte mein Essen aus der Hand.“ Nun guckte auch Elena nachdenklich. Würden sie ihr die Geschichte abkaufen? „Du solltest Sheriff Forbes davon erzählen. Sie ist Carolines Mum. Wenn es stimmt was du sagst, sind wieder wilde Tiere in der Gegend und die Bewohner von Mystic Falls könnten wieder angegriffen werden. „Ja. Das mach ich gleich morgen“ antwortete Liz. Natürlich würde sie Scheriff Forbes kein Sterbenswörtchen von der Wahrheit erzählen. Sie würde ihr nie glauben was sie tatsächlich gesehen hatte. Sie würde sich mit dem wildgewordenen Hund begnügen müssen.
Stefan ließ ihren Arm los. Er schien abwesend zu sein. Wortlos tauschte er mit Elena seine Gedanken aus. Wieso beschäftigte sie diese Sache so sehr? Wussten sie etwas? „Ok. Wir sehen uns dann morgen“ sagte Stefan und setzte sich mit Elena wieder ins Auto. „Bis morgen“ sagte Liz und winkte als die Beiden schließlich davon fuhren. Sie seufzte. Sie ging ins Haus, kochte sich etwas zu Essen und setzte sich schließlich an ihre Hausaufgaben für Mr. Saltzman. Er hatte ihnen dutzende Blätter gegeben, aus denen sie die wichtigsten geschichtlichen Daten für die Entstehung von Mystic Falls herausschreiben mussten. Es war eine langweilige und unendliche lange Arbeit. Als es draußen schließlich schon dunkel wurde war sie endlich fertig.
Sie räumte ihre Schulsachen weg und wollte sich gerade aufs Sofa setzen um ein bisschen fernzusehen als es an ihrer Haustür klingelte.
Stöhnend stand sie auf. Wer konnte das so spät noch sein? Sie warf einen Blick durch den Türspion und sah eine breitgrinsende, aufgetakelte Caroline und Bonnie und Elena vor der Tür stehen. Sie ahnte Schlimmes, als sie die Tür öffnete. „Hi“ sagte sie, erneut mit ihrem aufgesetzten Lächeln, denn im Moment hatte sie wirklich gar keine Lust auf Besucher. „Hi“ erwiderte Caroline. Bonnie und Elena lächelten Liz zu. Elena besorgter als sonst. Hoffentlich grübelte sie nicht immer noch über die Bisswunde nach und würde weitere Fragen stellen. Caroline unterbrach ihre Gedanken. „Wir haben beschlossen, dass…“ Bonnie räusperte sich vernehmlich. Caroline warf ihr einen bösen Blick zu. „Ich habe beschlossen, dass du heute nicht nur Zuhause rumsitzen wirst. Du kommst heute mit uns mit.“ Liz war verwirrt. „Was?“ „Du kommst heute mit uns ins Grill. Feiern. Du kannst nicht die ganze Zeit hier rumsitzen“ sagte sie und deutete ins Innere des Hauses. Liz schluckte. Sie war kein Partymensch. Nie gewesen. Sie versuchte sich rauszureden, wie sie es schon gestern geschafft hatte. „Ach weißt du, ich hab noch verdammt viel zu tun. Kisten ausräumen und so…“ „Das kann auch mal einen Abend warten. Du bist jung. Amüsier dich. Sonst findest du nie einen Freund.“ Caroline schien einen wirklichen Pärchen-Komplex zu haben. „Komm schon. Es wird dir gefallen“ sprang Bonnie ein. Auch sie noch. Liz seufzte. Elena schwieg die ganze Zeit. Von ihr konnte sie dieses Mal keine Hilfe erwarten.
Wenn sie sich jetzt wieder abgrenzen würde, wäre ihre angehende Freundschaft mit Caroline bald vorbei, was vielleicht auch bedeuten könnte, das Bonnie und Elena irgendwann Nichts mehr mit ihr Zutun haben wollten. Wenn es darauf hinaus lief, wäre sie der ewige Einzelgänger in der Schule und sie wusste, wie schwer es war die Schule ohne Freunde oder zumindest Mitschüler mit denen man hin und wieder redete durchzustehen. Sie erinnerte sich nur zu gut an die Zeit, als sie von ihrer Freundin als Verräterin bloßgestellt und von all ihren ehemaligen Freunden gemieden worden war. Das wollte sie nie und nimmer noch einmal erleben. Und um das zu verhindern…
„Na gut. Ich komm mit.“
Caroline schien einen kleinen Hüpfer zu machen. „Ich zieh mich nur kurz um. Könntet ihr kurz warten?“ Sie ging ins Wohnzimmer und Bonnie und Elena folgten ihr, doch Caroline blieb wie angewurzelt vor der Tür stehen. „Caroline? Warum kommst du nicht rein?“ fragte Liz verwundert.
Caroline schien mit irgendetwas Unsichtbaren zu ringen. Dann lächelte sie und sagte: „Ich bin halt höflich. Ich warte bis man mich einläd.“ Liz stutzte ob der seltsamen Antwort.
„Wie du meinst. Komm bitte herein“ sagte sie und wies auf das Wohnzimmer. Caroline setzte ihren Fuß mit offensichtlicher Erleichterung über die Türschwelle, nachdem die Einladung Liz Lippen entronnen war und setzte sich neben Elena und Bonnie auf das große Sofa. Liz ging schnell nach oben in ihr Zimmer und suchte nach einigen Klamotten, die sie anziehen könnte. Schließlich entschied sie sich für eine dunkelblaue Jeans, ein schwarzes Top und eine schwarze Kapuzenjacke. Dazu suchte sie sich ihre schwarzen Chucks raus. Ihre Lieblingsschuhe. Sie hatte immer ein Paar auf Vorrat, falls das alte kaputt gehen würde.
Anschließend ging sie wieder nach unten, wo die drei warteten. Bonnie und Elena waren ohne eine weitere Bemerkung aufgestanden, doch Caroline beäugte Liz Outfit kritisch. Sie sagte Nichts, aber Liz wusste, dass sie DAS nicht als passendes Outfit für eine Party ansah. Aber Liz war es egal. Sie hatte keine Lust sich aufzubrezeln. Sie war selten geschminkt, denn glücklicherweise waren ihre Wimpern nicht ein Hauch von Nichts ohne die Tonnen an Wimperntusche, welche sich die anderen Mädchen täglich verabreichten. Sie hatte tiefschwarze, volle und lange Wimpern. Eine der wenigen Dinge, mit denen sie an sich voll zufrieden war. Caroline hatte sich nach einem ernsten Blick von Bonnie anscheinend dafür entschieden Outfit Outfit sein zu lassen und das Beste aus dem Abend zu machen.
Sie gingen aus dem Haus, nachdem Liz noch rasch ihre Tasche mit Handy und Portemonnaie gegriffen hatte. Sie schloss die Tür hinter sich ab und stieg zu den anderen in Carolines Auto.
Bereits nach wenigen Minuten hielten sie vor dem Grill und laute Musik schallte aus dem kleinen Lokal. Liz graute es jetzt schon vor den betrunkenen und feiernden Jugendlichen. Doch es blieb ihr nichts Anderes übrig, als auszusteigen und den anderen Dreien zu folgen.
Während die Nachtluft recht erfrischend und kühl gewesen war, war es im Grill selbst stickig und rappelvoll. Überall saßen und tanzten Mitschüler und Leute, die Liz nicht kannte. Tranken, aßen, quatschten und ließen, um es wohl am treffendsten zu sagen, die Seele vollkommen im Rausch des Alkohols baumeln.
Sie quetschte sich durch die Menge und kam endlich an dem Tisch an, an welchem sich auch Caroline, Bonnie und Elena niedergelassen hatten. Kurz darauf setzte sich Stefan zu ihnen. Liz spürte, wie er ihr immer wieder gleichsam besorgte und nachdenkliche Blicke zuwarf. Ein Kellner kam an ihren Tisch und nahm ihre Bestellungen auf. Caroline warf sich ihm und den Hals und es war unverkennbar, dass er ihr Freund Matt sein musste. Anscheinend arbeitete er trotz der anstehenden Beerdigung seiner Schwester. Caroline stellte sie einander vor und er nickte Liz freundlich zu. Sie erwiderte das Lächeln. Dann verschwand er um ihnen wenig später ihre Getränk zu bringen. Da er nicht bleiben konnte, denn das Grill platzte förmlich aus allen Nähten vor bestellenden Gästen, widmete sich Caroline schon bald ihrer neuen Lieblingsbeschäftigung „Liz-verkuppeln“. Sie zeigte auf unzähligen Jungen in dem Lokal, erzählte irgendwelche total oberflächlichen Fakten und fragte Liz anschließend nach ihrer Meinung. Doch Liz hatte sich vorgenommen ihre Versuche beharrlich zu ignorieren. Sie wollte nicht verkuppelt werden. Für die Liebe hatte sie seit ungefähr einem halben Jahr nicht mehr viel übrig. Sie war ihr egal geworden.
Bonnie quatschte mit Elena, Stefan hatte sich mit Tyler Lockwood, ebenfalls einem Jungen aus ihrem Jahrgang, an den Billardtisch verzogen. Caroline berieselte Liz mit Vorschlägen und irgendwann wurde es ihr zu viel. „Ich muss mal kurz auf die Toilette“ sagte Liz in die Runde und ging rasch in Richtung der WCs, während Caroline, der ihr augenscheinlicher Fluchtversuch nicht entgangen war, ihr etwas beleidigt hinterherblickte. Auf der Toilette spritzte sie sich eine Hand voll eiskaltes Wasser ins Gesicht. Nur noch ein zwei Stunden. Dann würde sie ohne weiteres Aufsehen gehen können. Sie wartete einige Minuten, um wenigstens vorzutäuschen, dass sie wirklich auf die Toilette gewollt hatte, dann ging sie wieder hinaus ins Lokal. Sie fixierte den Tisch, an dem sie Alles saßen und bemerkte, dass Caroline nicht mehr da war. Sie fand sie in einer Ecke mit Matt und sie war offenbar zu abgelenkt, um Liz Rückkehr zu bemerken und sie erneut zu bombardieren.
Sie ging zur Theke und bestellte sich eine Cola. Auch wenn sie selber kaum ein Wort gesprochen hatte, hatte sie die Diskussion mit Caroline ganz schön ausgetrocknet. Sie setzte sich auf einen der Barhocker und genoss die eiskalte Cola. Sie bemerkte drei Typen, die sie seltsam beäugten. Schnell drehte sie sich weg um ihren Blicken auszuweichen. Als sie ausgetrunken hatte und sich umdrehte, um wieder zu Bonnie und Elena zu gehen, hörte sie, wie ein Mann neben ihr sie ansprach. Seine Stimme schickte ihr einen Schauer über den Rücken und lies sie in ihrer Bewegung inne halten. „Woher hast du diese Kette?“ Sie drehte sich, um sehen zu können, mit wem sie sprach. Zuerst fand sie das eisige Blau, einige Zentimeter über ihren eigenen Augen. Dann sah sie das wohlgeschnittene Gesicht, die dunklen Haare und das pechschwarze Hemd, welches sich eng an seinen Körper schmiegte. Er sah unverschämt gut aus. Das musste Liz zugeben. Dennoch verstand sie seine Frage nicht. „Wie bitte?“ „Ich fragte, woher du diese Kette hast“ sagte der Mann ihr gegenüber. Seine Lippen bildeten die Worte mit solcher Vollkommenheit, dass Liz sie einen Moment sprachlos betrachtete. Ein unverschämtes Lächeln umspielte seinen Mund, als er ihren Blick bemerkte. Sie riss sich schnell zusammen und antwortete. „Ich habe sie gefunden.“ „Sie gehört mir“ sagte er in einem schroffen, gebieterischen Ton. „Gib sie mir zurück.“ Bei diesen Worten blickte er ihr direkt in die Augen. Eisiges Blau. Sie schienen sich zu verändern, sie in sich aufzusaugen. Liz war gerade im Begriff die Kette ohne weitere Proteste abzumachen und sie ihm zu geben, warum genau wusste sie nicht, da stellte sich eine Person mit blonden Locken vor sie. Es war Caroline. „Damon. Was soll das?“ „Caroline. Wie schön dich zu sehen. Ich wollte mir nur mein Eigentum zurückholen. Das ist Alles“ sagte er mit einem herablassenden, verhöhnenden Unterton in der Stimme. Liz Kopf wurde wieder klarer, während Caroline und der Fremde, er hieß offenbar Damon, sich böse anfunkelten. Sie wunderte sich über ihr Verhalten. Warum hatte sie ihm die Kette so plötzlich ohne Widerworte geben wollen?
Caroline schien nicht locker zu lassen. „Gut. Wenn diese Kette also angeblich dir gehört, wo hast du sie dann verloren?“ fragte sie Damon schnippisch.
Damons Augen wurden plötzlich dunkel und ein leises Grollen entfuhr seiner Kehle. Er schien sehr wütend zu sein. Dann wurde er wieder normal. „Das geht dich zwar nichts an, aber ich habe sie im Wald verloren. Bei einem Spaziergang.“ Er blickte zu Liz, als ob die Sache damit geklärt wäre und streckte seine Hand aus. Doch Caroline war noch nicht zufrieden. Sie wollte ihn offensichtlich unbedingt zur Weißglut treiben. Sie wandte sich Liz zu. „Liz, stimmt das? Hast du die Kette im Wald gefunden?“ Liz wusste nicht warum, aber wenn diese Kette wirklich ihm gehörte, dann musste er etwas wissen und die Kette war der Schlüssel dazu. Ihr einziger Weg, den ganzen Irrsinn endlich aufzuklären. Also log sie. „Nein. Sie lag auf der Straße.“ Damon schien ihre Antwort gar nicht zu gefallen und nun durchbohrte er sie förmlich mit seinen eisblauen Augen. „Gib mir die Kette.“ Immer tiefer sogen sie sie ein. Eisiges Blau. Ihre Hand fuhr erneut zur Kette um ihren Hals, als plötzlich Stefan hinter Damon stand. Er wirkte angespannt und murmelte Damons Namen kaum vernehmbar. Auch Caroline, die sich nun noch mehr zwischen ihn und Liz gestellt hatte, sagte „Damon“, so leise, dass es auch nur eine Einbildung gewesen sein konnte. Damon fixierte Liz weiter, doch, warum auch immer, war ihr wieder bewusst geworden, dass sie Damon die Kette nicht einfach so geben wollte. Sie ließ ihre Hand sinken und grübelte über ihren seltsamen Sinneswandel. Damon stand da mit einem Gemisch aus Wut und…Liz war sich nicht sicher ob sie es wirklich richtig deutete… Erstaunen an. Irgendetwas an ihr schien ihn zu verwundern. Ihr wurde immer unbehaglicher zu mute, während er sie stillschweigend studierte und weiterhin mit seinen eisblauen Augen versuchte in seinen Bann zu ziehen. Noch einmal streckte er seine Hand verlangend aus, doch Stefan hielt sie fest und bedeutete Damon schweigend, dass er ihm folgen sollte. Die Beiden machten sich in eine Ecke der Bar davon. Caroline folgte ihnen ohne weiter auf Liz zu achten. Liz stand bedröppelt da. Sie verstand nicht was gerade geschehen war.
Nach einigen Minuten vergeblichen Nachdenkens ging sie zu Bonnie und Elena zurück an ihren Tisch. Die beiden fragten wo sie so lange geblieben war und sie leierte sich eine Telefonat mit ihrer Mutter aus dem Ärmel, welche ja gerade auf einer Geschäftsreise war. Sie hakten nicht weiter nach und begannen erneut über momentan für Liz völlig belanglose Dinge zu sprechen. Nach einer weiteren Stunde hielt sie es nicht mehr aus. Ihr war der Spaß, wenn man es überhaupt so nennen konnte, gehörig vergangen. Sie wollte nur noch nach Hause. Sie begann theatralisch zu gähnen und sagte schließlich: „Ich glaub, ich geh langsam. Ich bin müde.“ Sie stand auf. Bonnie und Elena winkten ihr hinterher, als sie sich durch die Menschenmengen zum Ausgang quetschte. Draußen war es wieder angenehm kühl. Die frische Luft befreite ihren Geist. Sie sog sie in vollen Zügen ein und ging los. Der Himmel war pechschwarz und nach der nächsten Kurve waren die Musik vom Grill nur noch schwach zu hören. Die Straßen waren menschenleer. Liz genoss das Alleinsein. Dann hörte sie hinter sich Schritte. Jemand folgte ihr. Sie beschleunigte ihre Schritte immer mehr, doch ihr Verfolger ebenfalls. Hinter der nächsten Ecke drehte sie sich um und blickte direkt in die Augen von…Damon. Ihr Mund klappte weit auf vor Verwunderung. Warum verfolgte er sie? Sie schloss ihn wieder, als es ihr schließlich dämmerte. Die Kette. Sie griff danach und umschloss das Medaillon mit ihren Fingern, sodass es vor seinem Blick verborgen wurde. Ein unverschämtes Grinsen umspielte seine Mundwinkel, als er erkannte, dass sie verstanden hatte. „Ich will sie zurück“ sagte er in dem gleichen befehlenden Ton, mit welchem er schon im Grill versucht hatte sie zu überzeugen. Liz ging einen Schritt zurück. „Nein.“ Ihre Stimme zitterte ein wenig. Er nahm einen Schritt in ihre Richtung. „Nun ich werde Nein als eine Antwort nicht gelten lassen fürchte ich. So langsam ging ihr sein Gehabe auf die Nerven. Vielleicht wurde sie ein wenig zu überdrüssig als sie sagte: „Tut mir leid für dich. Ich werde sie dir nicht geben.“ Er ballte die Fäuste und seine Nackenmuskulatur spannte sich. Erneut entfuhr seiner Kehle ein bedrohliches Grollen, doch Liz ließ sich nicht einschüchtern. „Wie hast du sie verloren? Die Kette meine ich“ fragte sie und hob das Medaillon ein wenig an. Die kühle Nachtluft schien ihren Geist vernebelt zu haben, so dreist traute sie sich diesen bedrohlichen Typen anzusprechen. Sie konnte sich ihren Mut nur durch ihre unglaubliche Wissbegierde wegen der Kette und den Geschehnissen im Wald erklären. Ihre Neugier hatte sie schon einige unschöne Momente zu verdanken und auch diese Begegnung schien nicht auf das Beste hinauszulaufen. Sie schluckte, doch jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen. Er würde ihre Schwäche womöglich sofort ausnutzen. Sie wartete auf seine Antwort. Er ließ sich lange Zeit, während sein Blick immer wieder von ihrem Gesicht zu der Kette wanderte. „Bei einem Spaziergang“ sagte er schließlich.
Liz lachte auf. Sie hatte es nicht zurückhalten können. „So sah es für mich aber nicht aus“ sagte sie. „Es spielt keine Rolle, wie ich sie verloren habe. Sie gehört mir.“ Sie nahm einen weiteren Schritt rückwärts. Und noch einen. Plötzlich stieß sie mit ihrer Ferse an die Hauswand. Sie schluckte und bemerkte, dass sie in der Falle saß. So gab es keine Fluchtmöglichkeit für sie.
Vielleicht konnte sie ihn ablenken. „Was ist im Wald passiert?“ „Nichts“ sagte er und trat noch einen Schritt näher. Nun war er nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt und stemmte seine Hände rechts und links von Liz gegen die Wand. „Nach Nichts sah das für mich aber nicht aus“ sagte sie, als sie erneut der Übermut packte. „Ich habe Alles gesehen. Das ganze Blut. Was ist da passiert?“ Damon stöhnte auf. „Mir bleibt wohl nichts Anderes übrig. Damit das klar ist, das ist nicht meine Schuld.“ Liz runzelte die Stirn. Was meinte er damit? „Wie meinst du das?“ Plötzlich begannen sich seine Augen zu verändern. Das Blau wurde nun noch kälter, beinahe weiß und die Adern um seine Augen weiteten sich und färbten seine Lieder pechschwarz. Seine Haut, die ohnehin schon sehr hell war, wurde nun aschfahl und wirkte wie makellos weißer Granit. Unzerstörbar. Liz verstand nicht was geschah. Sie brachte nur bruchstückhaft einige Worte heraus. „Dein Gesicht….“ Ein Anflug von Besorgnis überkam sie und sie streckte eine Hand nach ihm aus.
Offenbar hatte sie Todessehnsucht.
Da sah sie hinter Damon drei dunkle Gestalten. Sie zog ihre Hand wieder zurück und konzentrierte sich auf die Dunkelheit, um sie genauer erkennen zu können. Als Damon bemerkte, dass sie ihm offensichtlich keine Beachtung schenkte drehte er seinen Kopf um zu sehen, was ihre Aufmerksamkeit errungen hatte.
Die drei kamen immer näher auf die Beiden zu. Liz erkannte, dass zwei Pistolen und einer ein Messer in der Hand hielt und die Waffen auf sie gerichtet waren. Sie wurde stocksteif. Der Tag musste verflucht sein.
Sie kannte die drei. Genau. Es waren die Männer aus dem Grill, die sie an der Bar beobachtet hatten. Unwillkürlich klammerte sie sich in Damons Hemd. Er drehte sich nun vollständig zu den drei Neuankömmlingen um. Sein Gesicht wieder ohne die aschfahle Haut und die schwarzen Augenringe.
Einer der drei begann zu sprechen. „Tut uns wirklich leid, dass wir euch stören. Es dauert auch bestimmt nicht lange.“ Seine höhnische Stimme klang Liz in den Ohren und sie ahnte Schlimmes. Er wedelte mit seiner Pistole und deutete auf sie beide. „Her mit dem Geld. Schmuck. Wertsachen. Ein bisschen plötzlich.“ Liz schluckte. Der Andere mit dem Messer beäugte sie von Kopf bis Fuß. Sie griff widerwillig zu ihrer Tasche und wollte sie gerade in Richtung der Bande werfen, als Damon seine Stimmte erhob. „Ihr hättet euch kein schlechteres Opfer aussuchen können.“ Unbegreiflicherweise lächelte er. „Ihr solltet besser verschwinden. Glaubt mir, dann lebt ihr länger.“ Der erste Mann mit der Waffe brüllte beinahe und richtete seine Waffe auf Damons Kopf. „Red keinen Scheiß. Her mit dem Geld.“ Der Mann, der sie die ganze Zeit schon so komisch angesehen hatte, begann nun ebenfalls mitzumischen. „Das Mädchen nehmen wir auch mit.“ Ihr Herz schien stehen geblieben zu sein. Nein. Damon ging zur Seite. „Die ist mir egal.“ Liz glaubte nicht, was sie da hörte. Sie blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Gut. Er mochte sie vielleicht nicht besonders, vielleicht hasste er sie sogar, aber er konnte doch nicht wirklich Nichts dagegen haben, dass dieses drei Typen sie mitnahmen und wer weiß was mit ihr anstellten.
Ungläubig trat auch sie einen Schritt von ihm weg. Er ist ein Monster in Menschengestalt. Der zweite Mann mit der Pistole nutzte die Gelegenheit und packte ihren Arm. Er hielt ihr das an die Kejöe und schleifte sie zurück zu seinen Komplizen. Liz schauderte, als er sich an sie presste und in einem Klammergriff zurückhielt. Sie spürte die kalte Klinge an ihrem Hals, welche kurz davor war ihr ins Fleisch zu schneiden. Damon hatte das Ganze still beobachtet. Nun wandte er sich wieder an den Ersten. „Gebt mir die Kette. Das Mädchen könnt sie haben.“ Er schaute Liz nicht einmal an. Sie wollte protestieren, doch der Zweite drückte ihr sein Messer nur noch fester an die Kehle.
Der Erste schien das Ganze abzuwiegen und blickte von Liz und der Kette zu dem regungslosen Damon. Er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als der Zweite ihm zuvor kam und nach der Kette um Liz Hals griff. „Ich glaube…“ begann er, „die behalten wir auch.“ Bei seinem hämischen Grinsen verfinsterte sich Damons Gesicht. „Ihr habt es nicht anders gewollt.“ Dann begann Alles wie im Schnelldurchlauf. Damon war nur noch ein schwarzes unbestimmtes Etwas, welches sich mit unglaublicher Geschwindigkeit auf den ersten Mann zubewegte und ihn mit ungeheurer Wucht in die nächstgelegene Häuserwand stieß. Der Mann schrie schmerzerfüllt auf und sackte in sich zusammen.
Damon kam nun auf sie und ihren Entführer zu. Langsam nahm er einen Schritt nach dem anderen und seine Miene verfinsterte sich immer mehr. Seine Augen waren wieder kalt und erneut wurde die umliegende Haut leicht schwarz. Der Mann zog Liz mit sich mit, als er zurückstolperte. Seine Stimme zitterte, während er einen kurzen Blick auf seinen verletzten Komplizen warf. Der Dritte stand regungslos da. „Ich bring sie um!“ schrie der Mann ihr ins Ohr und bespuckte dabei ihr Gesicht mit Speicheltröpfchen. Damon lachte abschätzig. Es war im augenscheinlich egal, was mit ihr passierte. „Gib mir einfach die Kette. Dann muss keinem Etwas passieren.“ Doch der Mann schien größenwahnsinnig zu sein. Er riss Liz die Kette mit einem kräftigen Ruck vom Hals und schnitt ihr dabei durch eine unsachte Bewegung mit dem Messer in den Hals. Der Schnitt war glücklicherweise nicht tief und hatte ihre Halsschlagader verfehlt. Dennoch floss eine erhebliche Menge an Blut heraus und befleckte ihre Kleidung. Damon zuckte unwillkürlich und stierte auf das herausquellende Blut.
Plötzlich fielen mehrere Schüsse. Damon sackte in sich zusammen. Er war in der Schulter, den Beinen und der Brust getroffen. Der dritte Kerl hatte die Chance der Ablenkung genutzt und versucht ihn zu töten. Damon krümmte sich vor Schmerzen am Boden. Es war ein Wunder, dass er noch lebte. Blut bedeckte den Asphalt und schimmerte. Ihr Entführer war für einen kurzen Moment genauso fassungslos wie sie und ließ die Klinge sinken. Liz sah ihre Chance und entwand sich dem Klammergriff. Der Mann versuchte nicht einmal sie wirklich aufzuhalten, so verdattert stand er da. Er hatte anscheinend nicht damit gerechnet, dass sie wirklich jemanden ernsthaft verletzen würden.
Liz stolperte zu dem am Boden liegenden Damon und versuchte ihn aufzurichten. Sie stemmte sich gegen seine Schulter und fasste nach seinem Gesicht. „Komm hoch. Wir müssen hier weg.“ Sie musste wahnsinnig sein. Vor Kurzem war er es noch gewesen, der sie bedroht hatte, vor dem sie am liebsten schreiend davon gelaufen wäre und nun wollte sie ihm helfen zu fliehen. Damons atmete schwer. Sie tastete nach den Schusswunden und riss das Hemd an den Stellen auf, wo die Kugeln es durchbohrt hatten. Sie sah die blutenden Schusswunden. Glücklicherweise waren es Alles glatte Durchschüsse gewesen. Dennoch war ein Treffer nahe seinem Herzen sehr kritisch. Wenn er nicht bald versorgt würde, würde er wahrscheinlich nicht überleben.
Doch plötzlich veränderten sich die Wunden. Sie zogen sich zusammen und weißer Rauch stieg von ihnen auf. Es schien, als ob ihre Heilung um ein vielfaches beschleunigt wurde. Damons Atem wurde wieder langsamer und kontrollierter. Sie blickte in sein Gesicht und sah, dass es nun noch stärker verändert war. In seinen Augen schienen tausend kleine Äderchen geplatzt zu sein. Seine Haut spannte sich straff über seine Knochen. Er knurrte während er den Dritten, der ihn angeschossen hatte, anfunkelte. Er wollte ihn töten. So viel war sicher.
Liz bemerkte, dass der erste Mann wieder zur Besinnung gekommen war und sich aus dem Staub machte. Seine Augen bei dem Anblick Damons angstverzerrt geweitet. Sie hechtete von Damon fort zu der Stelle, an der der Mann am Boden gelegen hatte, und griff nach seiner Waffe. Der Typ mit dem Messer knapp hinter ihr. Er hatte noch nicht aufgegeben. Sie erwischte den Knauf der Waffe und drehte sich um. Sie stand ihrem Verfolger nun direkt gegenüber. Dieser wedelte bedrohlich mit seinem Messer um sich, doch Liz hatte nun mit der Pistole in der Hand keine Angst mehr vor ihm. Sie fixierte ihn und er hörte schließlich auf sich zu bewegen. Seine Mundwinkel fielen herab und ein wahnsinniger, ängstlicher Ausdruck kroch in sein Gesicht. Zu Recht wie sie fand. Sie wollte ihm genau solche Angst machen, wie er ihr gemacht hatte. Sie nahm einen Schritt auf ihn zu, während sie die Pistole auf seine Stirn gerichtet hatte. Ihr Zeigefinger umschloss den Abzug. „Gib mir die Kette zurück.“ Der Mann zuckte als sie ihn ansprach. In einiger Entfernung hinter ihm krümmte sich Damon weiterhin am Boden, achtete jedoch auf die Beiden.
Ohne weiter zu überlegen drückte Liz ab. Die Kugel rauschte aus dem Lauf. Mit einer raschen Bewegung lenkte sie sie so, dass die Kugel knapp das Ohr des Mannes streifte und es zu bluten begann. Die Straße war totenstill. „Gib sie mir zurück.“ Liz war sich sicher, dass irgendetwas Besonderes an dieser Kette sein musste, dass Damon sie unbedingt haben wollte. Ganz abgesehen von den Umständen, unter denen sie sie gefunden hatte. Der Mann vor ihr war vollkommen regungslos. Seine Arme sackten hinab und das Messer glitt ihm aus der Hand. Klirrend prallte es auf dem Asphalt auf.
Liz genoss den Anblick. Wie er sich fürchtete, wo er sie doch selbst eben noch bedroht hatte.
Erneut knallte es durch die dunkle Nacht, als sie ein zweites Mal den Auslöser betätigte. Der zweite Schuss ging kurz neben seinen Füßen in den Boden und brach ein Stück Asphalt heraus. Dann folgte der dritte, der vierte, der fünfte, der sechste Schuss. Allesamt knapp an seinen Füßen vorbei in den Boden.
Polizeisirenen erschallten in der Ferne. Die Knie des Mannes gaben unter dem andauernden Zittern nach. Nun kniete er vor ihr. Unfähig sich zu rühren vor Angst. Liz ging weiter auf ihn zu, bis sie direkt vor ihm stand. Sie hob die Pistole an seine Stirn. Ihre Augen wurden glasig. Für einen kurzen Moment interessierte sie die Kette nicht mehr. In dem Mann vereinigte sie all ihren Hass auf die Welt.
Die Sirenen kamen immer näher. Sie würden schon bald bei ihnen sein. Damon regte sich nun mehr und stemmte sich auf seine Beine. „Mist“ murmelte er, blickte in die Richtung, aus der die Sirenen kamen und betrachtete sein durchlöchertes, blutverschmiertes Hemd. Liz richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Mann vor ihr. Aus den Augenwinkeln spürte sie Damons Blick.
Es klickte. Der Mann vor ihr zuckte wimmernd zusammen, doch der Schuss blieb aus. Es war keine Kugel mehr im Lauf gewesen. Seine Augen weiteten sich ins Unermessliche. Die Kette entglitt seiner Hand und klackerte auf dem Boden. Liz ließ die Waffe sinken und griff nach der Kette. Die Pistole legte sie vor dem erstarrten Mann ab und ging hinüber zu Damon um ihn zu stützen. Sie sah, wie sein Gesicht sich erneut in die menschliche Form zurückverwandelte. Sie wollte seinen Arm packen um ihn zu halten, doch er entzog sich ihr und ging den nahenden Polizeiwagen entgegen.
Scheinwerfer blendeten Liz, als sie ihm hinterherblickte, wie er aufrecht und ohne einen Kratzer zu der Polizistin ging, die aus dem ersten Wagen ausgestiegen war.